Duisburg-Moers - Teil 2
geschrieben am 19.10.2021 von Ulrich Forster
Etwa 20 Minuten fährt man vom Duisburger Hafen hinüber zur Halde Rheinpreussen bei Moers.
89 dieser landschaftsprägenden Hinterlassenschaften des Ruhrbergbaus sind auf einer entsprechenden Wikipedia-Seite aufgelistet – 250 Halden gibt es insgesamt im Revier. Einige sind nur ein paar Meter hoch, andere ragen als runde, terrassierte oder spitze Kuppen und Kegel mit über 150 Metern hoch über die ansonsten flache Landschaft hinaus.
Foto mitte: Arnoldius / CC BY-SA 4.0 (via WikiCommons); Foto rechts: JaPe / CC BY-SA 4.0 (via WikiCommons)
Zunächst ging es einfach darum ein praktisches Problem zu lösen: irgendwo musste man hin mit dem “tauben Gestein“, das beim Steinkohlebergbau in rauen Mengen angefallen ist. Heute aber sind diese künstlichen Erhebungen weitgehend renaturiert und zu beliebten Ausflugszielen im Ruhrgebiet geworden, die von den verschieden Tourismusverbänden der Region Rhein-Ruhr eifrig als Attraktionen auf der "Route Industriekultur" beworben werden.
Die Idee, diese menschengemachten Erhebungen mit Kunstwerken zu bestücken lag auf der Hand. Eine große Zahl oft spektakulärer Objekte bekrönen quer durchs Ruhrgebiet als weithin sichtbare „Landmarken“ diese Hinterlassenschaften der zu Ende gegangenen Zeit des Steinkohlebergbaus.
Die Idee ist einfach aber ungemein effektvoll: Der Hügel wird wie ein riesiger Sockel genutzt, um darauf ein skulpturales Objekt als auffälliges und weithin sichtbares Zeichen zu errichten. Es gibt dabei etliche stark archaisierende Ansätze (wie bei der Installation „Totems“ des baskischen Künstlers Agustin Ibarrola auf der Halde Haniel zwischen Bottrop und Oberhausen) oder auch technoide Konstruktionen (wie etwa der "Tetraeder Bottrop" oder „Tiger and Turtle“ zwischen Duisburg und Düsseldorf)
Foto (beschnitten): Thorpet / CC BY-SA 4.0 (via WikiCommons)
Als ich auf der "Halde Rheinpreussen" ankam, stand die Sonne schon tief.
Mein Ziel war es, nach Serras „Bramme“ auf der Schurenbachhalde eine weitere dieser skulpturalen Landmarken, die von einem namhaften Künstler aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geschaffen wurde, kennenzulernen und zu fotografieren:
Otto Pienes „Geleucht“ (eingeweiht 2007)
Otto Piene (1928 – 2014) hat zwischen 1949 und 1953 zunächst in München und dann an der Kunstakademie in Düsseldorf Kunsterziehung studiert und 1957 an der Universität in Köln auch noch ein Philosophie-Studium mit Staatsexamen abgeschlossen.
Foto: Lothar Wolleh / CC BY-SA 3.0 (via WikiCommons)
Dieses Jahr 1957 wird auch in seiner künstlerischen Laufbahn wegweisend – es ist das Jahr, in dem er am 11. April zusammen mit Heinz Mack in Düsseldorf die Gruppe ZERO gegründet hat, jene später international so einflussreiche Avantgarde-Künstlergruppe, der sich vier Jahre später auch Günther Uecker anschloss.
Sie wollten Aufbruch und Neuanfang, diese jungen Künstler, die zwischen 1928 und 1931 geboren sind und damit alle noch sehr jung waren, als ihr Vaterland die Welt in die größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts gerissen hat. ZERO stand für Zukunft und für Optimismus. Die Gründung von ZERO sollte nicht weniger eine Stunde Null der Kunst einläuten...
Wir verstanden von Anfang an Zero als Namen für eine Zone des Schweigens und neuer Möglichkeiten, nicht als Ausdruck des Nihilismus oder einen Dada-ähnlichen Gag. Wir dachten an das [sic!] Countdown vor dem Raketenstart – Zero ist die unmeßbare Zone, in der ein alter Zustand in einen unbekannten neuen übergeht …
Otto PienePiene bestreitet in diesem Zitat zwar die dadaistische Attitüde. Ob das aber ganz ernst gemeint ist, mag man bezweifeln, wenn man im Manifest „Zero der neue Idealismus“ aus dem Jahr 1963 Wort- und Satzkapriolen liest wie diese:
...Der Himmel über Zero. Die Nacht –, Zero fließt. Das Auge Zero. Nabel. Mund. Kuß. Die Milch ist rund. Die Blume Zero der Vogel. Schweigend. Schwebend. Ich esse Zero, ich trinke Zero, ich schlafe Zero, ich wache Zero, ich liebe Zero. Zero ist schön, dynamo, dynamo, dynamo...
Der Galerist Alfred Schmela, den wir hier auf einem Foto von Heinz Mack vor seiner Düsseldorfer Galerie sehen, veranstaltete mit seiner legendären Ausstellung im Jahr 1961 das wohl berühmteste "ZERO-Spektakel" – ein opulentes Kunstfest in der Düsseldorfer Altstadt, mit viel glitzernder aluminiumbeschichteter Folie, mit Lichtreliefs, Luftballons, Seifenblasen, Scheinwerfern und Feuerwerk...
Für einen anderen Düsseldorfer Künstler, der damals seinen Weg an die Spitze der Avantgarde suchte und im selben Jahr seine Professur an der Düsseldorfer Kunstakademie antrat, war das alles sinnfreies Spektakel:
Joseph Beuys kippte aus Protest gegen eine Aktion von Günter Uecker (der an diesem Tag die Hunsrückenstraße weiß angestrichen hat um "eine Leerstelle zu schaffen außerhalb der sich immer mehr verhärtenden Mechanismen und Ordnungsprinzipien") dessen Badewanne voll weißer Farbe kurzerhand um.
Ja, es ging leidenschaftlich zu in der Kunstwelt in diesen Jahren und ich gestehe: obwohl mir diese ganzen verschwurbelten Sätze und die maßlose Selbstüberschätzung all dieser Weltverbesserungskünstler sehr suspekt sind: Oft bedaure ich, nicht selbst dabei gewesen zu sein.
Da wurde sicher viel Unsinn geredet, gedacht und gemacht – aber ich glaube, sie haben das alles sehr ernst gemeint und waren in hohem Maße authentisch, in dem was sie taten und wollten. Dagegen scheint mir die heutige Kunstwelt oft recht flach – entweder aufs große medienwirksame Event aus oder wir haben jenen hippen Champagner-Kunstmarkt als Spielwiese für die mit immer groteskeren Geldsummen um sich werfenden Oligarchen dieser Welt...
Foto: Heinz Mack / CC BY-SA 3.0 (via WikiCommons)
Viele Werke jener Künstler wirken heute auf den ersten Blick doch "ziemlich in die Jahre gekommen". Besonders die zahlreichen Skulpturen und Installationen in den öffentlichen Stadträumen von Otto Piene und Heinz Mack sind oftmals (salopp gesagt) „arg 60er Jahre“. So ist das mit der Avantgardekunstidee – das Neuste vom Neuen wirkt nach ein paar Jahrzehnten oft fürchterlich alt (viel älter als die Kunst vergangener Jahrhunderte!). Irgendwann kommt dann aber eine Retrobewegung und gräbt das alles wieder aus…
Damals jedenfalls waren die Arbeiten der Zero-Künstler für viele in der Kunstwelt eine große Offenbarung: frischer Wind aus der Zukunft in die miefige Spießigkeit der Nachkriegszeit geweht.
Da war Bewegung zu spüren – im übertragenen aber auch im wörtlichen Sinn! Licht, Luft und Bewegung waren beherrschende Themen der ZERO-Künstler und Otto Pienes "Lichtballette" wurden zum Inbegriff von ZERO-Kunst.
Otto Piene Lichtballett
Otto Piene’s Black Stacks Helium Sculpture (1976)
Otto Piene. More Sky | Film zur Ausstellung
Nach diesem Exkurs über Otto Piene und ZERO sind wir zurück auf der Halde Rheinpreussen – es ist inzwischen ziemlich dunkel geworden...
Als 2007 das "Geleucht" eingeweiht wurde, war Piene bereits 79 Jahre alt (2014 ist er in Berlin gestorben). Die große Zeit als Avantgardist lag da schon eine sehr lange Zeit zurück – bereits 1966 hat sich die ZERO-Gruppe wieder aufgelöst.
Es war naheliegend, diesen Pionier der Lichtkunst mit einer Halden-Skulptur zu beauftragen. Viele dieser Kunstwerke beziehen in ganz unterschiedlicher Weise Licht als Gestaltungsmittel ein und das ist sehr einleuchtend, wenn man an die Idee des Kunstwerks als "Landmarke" denkt.
Bei Pienes "Geleucht" spielt Licht in doppeltem Sinne eine Rolle. Die Skulptur ist die monumentale Vergrößerung einer Grubenlampe – jeder Bergmann trug sein persönliches Geleucht wenn er in den Schacht einfuhr. Tagsüber wirkt Pienes Skulptur also wie ein etwas kurioses Riesen-Objekt in der Art der Popart-Plastiken von Claes Oldenburg.
Erst in der Nacht aber entfaltet sie ihre eigentliche Magie. Dann fängt die Lampe an zu leuchten, wie ein ins Binnenland versetzter Leuchtturm. Außerdem wird sie selbst von einer großen Zahl roter Strahler beleuchtet und sieht dann aus wie ein großer glühender Edelstein.
Das ist nicht unbedingt tiefsinnig und künstlerisch gesehen bestimmt nicht besonders komplex. Aber es ist ungemein wirkungsvoll an diesem tollen Ort und ein wundervoll sinnlicher Genuss!
Den muss man sich übrigens mit Geduld erkaufen. Das Licht geht automatisch nach Sonnenuntergang an, liest man auf der Beschreibung der Homepage. Tatsächlich wartet man lange vergeblich und ich dachte schon, es wäre etwas schief gelaufen... Erst wenn es richtig dunkel ist, blinkt es plötzlich auf – das Erlebnis ist dadurch um so beeindruckender.
Beim Warten entschädigt der herrliche Panoramablick. Ich habe eine kleine Serie vom Anblick des Rheins, wie er vor den imposanten Schloten des Thyssen-Krupp-Werks vorbeifließt aufgenommen. Klickt auf Vorwärts und scrollt dann nach unten durch die Bilder. So bekommt ihr einen ganz schönen Eindruck von der Stimmung an diesem besonderen Kunstort...
(alle Bilder kann man durch anklicken vergrößern)
Im letzten Teil fahren wir wieder zurück über den Rhein nach Duisburg. Dann streifen wir abschließend noch durch das fantastische Industriegelände des Landschaftspark Nord...
Unten seht ihr noch eine Satellitenaufnahme der Halde bei Moers. Es gibt mehrere Parkplätze, die ausgeschildert sind. Parkt beim Parkplatz 2 (Halde Rheinpreussen). Von der Gutenbergstraße geht kurz vor dem Kreisverkehr eine kleine Stichstraße rechts ab. Fahrt soweit bis die Schranke kommt und das weiterfahren verboten ist.
Viel Vergnügen beim Haldenkunsterlebnis!
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