Das Rietveld-Schröder-Haus
geschrieben am 15.04.2022 von Ulrich ForsterEin Stuhl...
...ist sein mit Abstand bekanntestes Werk – das vielleicht berühmteste Sitzmöbel der klassischen Moderne – 15 Latten aus Buchenholz und zwei schlichte Platten: der rotblaue Rietveld-Stuhl.
Als der gelernte Schreiner Gerrit Rietveld (1888- 1964) im Jahr 1917 diesen Designklassiker entworfen und 1918 erstmals ausgeführt hat, muss das auf seine Familie als ziemliche Provokation gewirkt haben. Der angehende Star-Designer und Architekt hatte sein Handwerk nämlich zunächst im elterlichen Betrieb gelernt und dort schuf man gediegene Eichenholz-Polstermöbel mit Löwenfüßen. Der damals 30jährige Gerrit suchte nun aber offenbar mit Macht seinen eigenen Weg und fand ihn in einer äußerst reduzierten Schlichtheit – kompromisslos und sachlich – ganz im Geiste der damaligen Avantgarde der modernen Kunst.
1918 sah der Stuhl übrigens noch nicht genauso aus, wie wir ihn heute kennen: ursprünglich war er unlackiert. Seine so markanten Farben Rot, Blau, (Gelb und Schwarz) erhielt er erst ab 1923. Erst so konnte er nicht nur zu Rietvelds eigenem Markenzeichen werden, sondern auch zu dem bekanntesten Designerstück der niederländischen Künstlergruppe De Stijl.
Piet Mondrians hypersachliche Bilder, wie die hier gezeigte "Komposition in Rot, Gelb, Blau und Schwarz" aus dem Jahr 1921, sind es wohl vor allem, die einem neben Rietvelds Werken sofort in den Sinn kommen, wenn man an De Stijl denkt. 1917 hat der Maler zusammen mit Theo van Doesburg, Georges Vantongerloo und Anderen diese einflussreiche Künstlergruppe in Leiden gegründet. Gerrit Rietveld stößt ein Jahr später dazu.
Mit ganz ähnlichen Zielsetzungen und Vorstellungen wie die Künstler des 1919 in Weimar gegründeten Bauhaus setzt man sich für eine neue Kunst ein, die nach der Vorstellung der Beteiligten, alle Lebensbereiche umfassen soll. Mit diesem Ganzheitsanspruch geht man über den die bildende Kunst in jener Zeit beherrschenden Kubismus hinaus. Vom Kubismus erhielt De Stijl ebenso viele stilistische Anregungen wie von den Abstraktionen und den kunsttheoretischen Schriften des künftigen Bauhauslehrers Kandinsky. Umgekehrt sind viele Ideen der De Stijl-Bewegung in die Lehren des Bauhaus eingeflossen, besonders durch den zeitweilig in Weimar lehrenden Theo van Doesburg.
Foto: BatacommandBot / CC BY 2.5 (via WikiCommons)
Der Künstler van Doesburg war auf allen nur denkbaren Gebieten tätig: er war Maler, Schriftsteller, Bildhauer, Typograf und Kunsttheoretiker. Zusammen mit Sofie Taeuber und Hans Arp entwarf er außerdem 1927 die Innenausstattung für das avantgardistische Tanzlokal "Aubette" in Straßburg.
Gerrit Rietveld war also Teil einer internationalen Bewegung der modernen Kunst, als er in den Jahren unmittelbar nach dem 1. Weltkrieg gegen die ästhetischen Vorstellungen und Vorlieben seines Elternhauses rebellierte und zunächst als avantgardistischer Möbeldesigner Aufsehen erregte.
1924 bekommt er dann eine Aufgabe, die eine ganz neue Herausforderung für ihn darstellt: Für die gerade jung verwitwete Truus Schröder (1889 - 1985), für die er bereits früher einen ästhetisch ambitionierten Raum in deren ehelicher Wohnung in Utrecht eingerichtet hat, soll er nun ein komplettes Haus bauen. Es ist sein erstes Bauwerk und es wurde, wie schon sein Stuhl, zu einer Ikone der klassischen Moderne: Das Rietveld-Schröder-Haus in der Prins Hendriklaan in Utrecht.
Ich war im vergangenen Sommer dort (zur Vorbereitung einer Kunstreise nach Rotterdam und Utrecht, Den Haag, die ich im Sommer 2022 durchführen werde) und kann den Besuch dieses besonderen Kunstorts wärmstens jedem empfehlen, der in die Region kommt.
Noch immer fällt das Haus aus dem Rahmen und hebt sich eigenwillig ab von den dunklen Ziegelhäusern mit den schweren Satteldächern, die die Umgebung dominieren. Auch wenn wir nach hundert Jahren den Schock und die Provokation, die diese Architektur auf die Nachbarschaft ausgeübt haben muss, nicht mehr nachvollziehen können: es ist erstaunlich frisch geblieben, wirkt immer noch modern und teilt nicht das Schicksal so mancher Avantgardewerke, die einst für Aufregung gesorgt haben und nach einigen Jahrzehnten selbst ziemlich angestaubt und bieder wirken.
Truus Schröder muss eine sehr eigenwillige Auftraggeberin gewesen sein. Sie hatte sehr genaue Vorstellungen davon, was sie haben wollte und lehnte den ersten Entwurf Rietvelds ab. Der debütiernde Architekt blieb am Ball, legte einen zweiten Plan vor und schuf schließlich sein Meisterwerk. Dabei waren die Einflussnahmen Schröders so stark, dass man fast von einer Kooperation sprechen könnte, so dass der Doppelname Rietveld-Schröder mit einigem Recht eine geteilte Autorenschaft suggeriert.
Solch starke Einmischung kann ja nun sehr leicht zu Spannungen und zum Zerwürfnis zwischen Bauherrn und Architekten führen – Beispiele dafür gibt es in Hülle und Fülle. Hier aber ist das Gegenteil der Fall. Die enge Zusammenarbeit führte auch zu einer intimen Verbindung und nach dem Tod seiner Frau wird Rietveld, der sich zuvor bereits ein Atelier im Haus eingerichtet hatte, ganz dort einziehen.
Bis zu ihrem Tod 1985 wohnte Truus Schröder in der Prins Hedriklaan 50. Testamentarisch vermachte sie das inzwischen weltberühmte und unter Denkmalschutz stehende Gebäude, das seit dem Jahr 2000 auch in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes eingetragen ist, der Stadt Utrecht und es ist nun Teil des Centraal Museums.
Was den Besuch so lohnend macht, ist das Erlebnis des "Gesamtkunstwerks" Rietveld-Schröder-Haus. Nichts ist hier "von der Stange". Jedes noch so kleine Detail ist durchdacht und stimmig und ganz im Sinne von De Stijl durchgestaltet. Aber gleichzeitig wirkt das Haus nicht steril, wie so manche Designerwohnung. Das kommt wohl durch diese besondere Mischung aus Raffinement und Geschmack, die gepaart ist mit äußerster Schlichtheit (manch Detail hat geradezu den Charme des Selbstgebastelten)
Ein gut gemachter Audioguide gibt ausführliche Erläuterungen und von Zeit zu Zeit demonstriert ein Mitarbeiter die eingebauten Spezialeffekte, etwa das raffinierte Schiebewandsystem, durch das sich die obere Etage mit wenigen Handgriffen vollkommen in seiner Aufteilung verändern lässt.
Rietveld war ein Tüftler, stets auf der Suche nach der unkonventionellen Lösung.
Was das Rietveld-Schröder-Haus besonders wohnenswert machte, ist das Tageslicht, das die Räume großzügig flutet. Eine "fließende Verbindung von Innen und Außen", darauf haben Architekt und Auftraggeberin besonderen Wert gelegt.
Geradezu paradiesisch muss es dort gewesen sein, als das Haus noch am äußersten Stadtrand lag. Als Truus Schröder dort einzog, hatte sie durch die großen Fenster einen herrlichen Blick in die weite Polderlandschaft des Utrechter Hinterlands. Später wurde die Umgebung als Bauland ausgewiesen und der wunderbare Weitblick eingeschränkt.
Wirklich tragisch aber wurde es erst, als die Stadt später eine vierspurige Schnellstraße auf einem Viadukt praktisch direkt durch den Vorgarten des Hauses baute und die einst so freie Lage brutal ins Gegenteil verkehrte. Rietveld war außer sich und trug sich ganz ernsthaft mit dem Gedanken, das Haus komplett abzureißen. Dazu ist es dann glücklicherweise doch nicht gekommen...