KUNSTgedankenYVES SAINT LAURENT AUX MUSÉES

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YVES SAINT LAURENT AUX MUSÉES

Picasso, c'est le genie à l'état pur. Ça éclate de vie et de franchise.

YVES SAINT LAURENT

(Picasso ist verkörpert Genie in seiner reinsten Form. Es sprüht vor Leben und Ungezwungenheit)



Er war einst das Wunderkind der Modebranche. Er war erst 21 Jahre alt, als er 1957 vom Eigentümer der Firma Dior zum neuen künstlerischen Leiter ernannt wurde. Überraschend (und unter nie ganz geklärten Umständen) war der große Christian Dior kurz zuvor gestorben. Dieser hatte den jungen Hochbegabten, der bereits wichtige Preise gewonnen hatte, unter seine Fittiche genommen.

Der erste Bruch in dieser mit so spielerischer Leichtigkeit gestarteten Karriere ereignet sich dann im Jahr 1960. Yves Saint Laurent, 1936 in Oran in Algerien geboren, wird zum Militärdienst eingezogen und soll zurück in das Land seiner Geburt, in dem seit fünf Jahren ein mit großer Grausamkeit geführter Unabhängigkeitskrieg tobt. Der sensible Künstler ist dem nicht gewachsen. Er erleidet einen Nervenzusammenbruch, wird in eine Psychiatrie eingewiesen und mit brutalen Methoden wie Elektroschocks und der Verabreichung von Drogen behandelt. Daraufhin wird er auch bei Dior entlassen.

Foto aus der Ausstellungsinstallation im Picasso-Museum

Aber das, was wie das tragische Ende einer hoffnungsvollen Karriere aussieht, ist der eigentliche Anfang.
Durch die aufopferungsvolle Unterstützung seines Freundes und Lebenspartners Pierre Bergé gelingt nicht nur die Entlassung aus der Psychiatrie, sondern schließlich auch ein siegreich geführter Vertragsbruchs-Prozess gegen den früheren Arbeitgeber. Die üppige Abfindungszahlung, die Dior zahlen muss, ist der Grundstock mit dessen Hilfe Saint Laurent und Bergé ihr eigenes Unternehmen starten: 1961 wird in Paris das Modeunternehmen Yves Saint Laurent Couture gegründet.

Schon im Januar des folgenden Jahres und somit vor genau 60 Jahren stellt sich YSL mit einer ersten, viel beachteten Modeschau der Welt vor.

Am vergangen Sonntag (am 29. Januar 2022) wurde offiziell jenes große Ausstellungsprojekt eröffnet, bei dem insgesamt sechs große Museen in Paris dieses Anlasses gedenken und dem 2008 verstorbenen Couturier eine große und so bislang einzigartige Hommage widmen.
Damit ehren sie einen der ganz großen seines Fachs. Und sie zeigen uns einen bedeutenden Modeschöpfer, der sich wie kein zweiter mit der Kunst der Moderne auseinandergesetzt hat. Er hat sich immer wieder unmittelbar von den berühmten Malern seiner Zeit und von deren Werken anregen lassen und darüber hinaus selbst unermüdlich Kunst gesammelt. Als 2009 die gemeinsame Kunstsammlung von Saint Laurent & Bergé versteigert wurde, erzielte sie mit 370 Millionen Euro den höchsten Erlös, der je für eine Privatsammlung gezahlt wurde.

Ich war in der Woche zuvor zur Vorbereitung meiner beiden Paris-Reisen im April und im Juni an der Seine und hatte das unerwartete Glück, dass bereits in den Tagen vor dem offiziellen Eröffnungstermin der Großteil der Ausstellungsinstallationen öffentlich zu sehen war. So kann ich also höchst aktuell von diesem so besonderen Event berichten und die Fotos, die ich vor Ort machen konnte, zeigen.
(die meisten Fotos können durch Anklicken vergrößert werden)


YSL im Centre Pompidou

Robe "Hommage à Piet Mondrian" (1965) / neben Mondrians "Komposition in Rot, Blau und Weiß II" aus dem Jahr 1937

Es ist die sicherlich berühmteste Verneigung vor dem Werk eines Malers, die der kunstbegeisterte Saint Laurent geschaffen hat: Robe Hommage à Piet Mondrian aus dem Jahr 1965. Ein Cocktailkleid, so schlicht, klar und sachlich, wie raffinert, vornehm und elegant. Jene Kollektion mit der Saint Laurent sein "anziehbares Kunstwerk" vorstellte, wurde weltweit gefeiert und die Saint-Laurent-Mondrian-Serie selbst stilprägend und zu einer Ikone jener Jahre des Aufbruchs und der Neuorientierung. Man sehnte sich damals danach, den Muff und die Spießigkeit der Nachkriegszeit hinter sich zu lassen.

So bekannt wurde das "Mondrian-Kleid", dass es heute ganz selbstverständlich scheint, dass sich Mode und Design auf diese Weise an moderner Kunst orientieren. In meist trivialisierender Nachahmung jener Pioniertat von damals finden wir heute in jedem Museumsshop Kandinsky-Halstücher, Miro-Handtücher, Macke-Regenschirme oder Chillida-Bettwäsche... 1965 war diese Form der Annäherung jedoch vollkommen neu.
Und überdies waren Mondrians Gemälde längst noch keine selbstverständlichen Klassiker, an die das breite Publikum gewöhnt war. Kaum ein Museum stellte damals, Mitte der 60er, die hypersachlichen Gemälde des großen De-Stijl-Pioniers aus. Erst 1975 erwarb das Centre Pompidou den ersten Mondrian für seine Sammlung. Der Kunstgeschmack des Modemachers war also durchaus avantgardistisch und er trug nicht wenig zur Popularisierung des Werkes des 1873 geborenen Niederländers bei. In der aktuellen Ausstellung hängt Saint Laurents berühmtes Cocktailkleid neben "Komposition in Rot, Blau und Weiß II" aus dem Jahr 1937.
(Mehr zu Mondrian und De Stijl auch in meinem Artikel über das Rietveld-Schröder-Haus).


Mit der Mondrian-Hommage war der Anfang gemacht. Es folgte eine lebenslange Auseinandersetzung Saint Laurents mit seinen Lieblingskünstlern und deren Werken, die ihn auf sehr unterschiedliche Weise zu Nachschöpfungen anregten.

Eine ganz andere Form der Hommage an ein Kunstwerk begegnet uns direkt, wenn wir den chronologischen Rundgang der ständigen Sammlung des Centre Pompidou betreten:

"Ensemble inspiré par Henri Matisse" (1981)

"La Blouse Roumaine" heißt ein Gemälde von Matisse aus dem Jahr 1940. YSL hat die rumänische Bluse 1981 nachgeschneidert und mit einem schwarzen Rock kombiniert. Hier werden die Bezüge nun komplex: Der Maler lässt sich von folkloristischer Mode inspirieren, was wiederum den Modeschöpfer zu einer eigenen Kreation anregt. So wird aus Trachten-Look Haut Couture.

Viel freier den typischen Farben und Formen nachempfunden sind dagegen die Hommagen an Werke von weiteren Lieblingskünstlern, denen Saint Laurent eigene Werke gewidmet hat: Fernand Léger,
Georges Braques und immer wieder das ganz große Idol des kunstbegeisterten Couturiers: Pablo Picasso.

Robe "Hommage à Fernand Léger" (1981)
Robe "Hommage à Pablo Picasso" (1979) / vor Gemälden von Sonja und Robert Delaunay
Robe "Hommage à Pablo Picasso" (1979) / neben Picassos "Arlequin et femme au collier" von 1917
Cape "Hommage à Georges Braque" (1980) / neben Pablo Picassos "Le Violon" von 1914

Wie hätte ich der Pop Art widerstehen können, war sie doch der Ausdruck meiner Jugend?

YVES SAINT LAURENT
"Manteau" (1971) / neben "Made in Japan - La grande Odalisque" von Martial Raysse von 1964
Robe "Hommage à Tom Wesselmann" (1966)

Zum Abschluss des Rundgangs durch die üppige Sammlung des Centre Pompidou wird es dann noch einmal ein wenig schrill. Nouveau Réalisme nannte sich eine Gruppe von jungen Künstlern, die sich in den frühen 1960ern zusammenschlossen und nach einer französischen Antwort auf die amerikanische Pop Art suchten. Yves Klein, Jean Tinguely, Niki de Saint Phalle und César waren berühmt gewordene Gruppenmitglieder. Auch der Maler, Bildhauer, Objekt- und Installationskünstler Martial Raysse (geb. 1936) schloss sich ihnen an. Seine quietschgrüne "Odalisque" ironisiert Ingres berühmten Klassiker aus dem Louvre.


Was ist schön? – Was ist hässlich?
Was ist Kunst und was ist Kitsch?
– wo genau läuft da die Grenze und welche Autorität hat die Macht sie zu ziehen?


Solche Fragen stellt die Pop-Bewegung genau in jenen Jahren, in denen Yves Saint Laurents kometenhafter Aufstieg in der Welt der Mode beginnt. Seine Kreationen stehen für Exklusivität und Eleganz. Aber er hatte immer auch ein Faible für die Grenzüberschreitung – war schon zu Lebzeiten Klassiker aber auch Mode-Rebell. Deshalb gelingen ihm spielend leicht auch diese Annäherungen an die Welt des Pop und des Trash und sein "Manteau" hängt ebenso fröhlich neben dem Bild von Raysse wie sein langes Etuikleid inmitten der Werke des Amerikaners Tom Wesselmann.


YSL im Musée d'Art Moderne de Paris

drei Satin-Kleider Yves Saint Laurents inmitten von Raul Dufys "La Fée Electricité" von 1937

Eine atemberaubend schöne Kombination findet man in einem höchst ungewöhnlichem Museumsraum im Musée d'Art Moderne de Paris im Palais de Tokyo. "La Fée Electricité" heißt ein riesiges Wandgemälde des Malers Raul Dufy, das dieser für die Pariser Weltausstellung des Jahres 1937 geschaffen hat (zum selben Anlass entstand auch Picassos berühmtes Bild "Guernica"). Auf über 600 Quadratmetern begegnen uns berühmte Physiker, Mathematiker und andere Gelehrte, die auf die ein oder andere Weise eine Rolle in der Geschichte der modernen Elektrizität gespielt haben.

Die drei prachtvollen Satinkleider aus dem Jahr 1992 haben natürlich keine allzu direkten Bezüge zum ebenso beeindruckenden wie skurrilen Monumentalbild Dufys. Es sind vor allem die herrlich leuchtenden Farben, die den Modemacher (vielleicht) inspiriert haben, die aber auf jeden Fall ganz prachtvoll harmonieren und eine der einprägsamsten Installationen des ungewöhnlichen Ausstellungsprojekts bilden.

Nein, das ist nicht immer besonders komplex und intellektuell vielschichtig, was da in Paris gezeigt wird und ganz bestimmt war dieser Yves Saint Laurent auch kein besonders tiefschürfender Intellektueller. Aber alles was er gemacht hat, ist wunderschön und von unbestechlich gutem Geschmack. Mit derselben Stilsicherheit haben die Kuratoren die Räume inszeniert und ein Fest zu Ehren des herausragenden Modeschöpfers ausgerichtet, das den Kunstliebhaber genauso zum Schwärmen bringen kann wie den Modeconnaisseur.

Fotografisch ist der gesamte Raum und damit das Gemälde Dufys einfach nicht zu erfassen. Deswegen habe ich ein Video eingebettet, das einen guten Eindruck vermittelt:

 

Nach Picasso ist Henri Matisse der Künstler, den Yves Saint Laurent am meisten bewunderte und dessen Werke ihn zu den meisten Nachschöpfungen inspiriert haben. In der "Salle Matisse" sind zwei dreiteilige Wandarbeiten des Malers ausgestellt, die dieser einst im Auftrag des amerikanischen Millionärs und Sammlers Dr. Albert Barnes für dessen Museum (Barnes Fondation) in Pennsylvania geschaffen hat. Dort ist heute die dritte und endgültige Version zu sehen. Die beiden früheren, vom Künstler verworfenen Stadien, fand man nach dem Tod von Matisse in dessen Atelier in Südfrankreich und hat sie in die Sammlung des Musée d'Art Moderne de Paris integriert.

Kleid von YSL in der SALLE MATISSE vor "La Danse inachevée" aus dem Jahr 1931
drei weitere Kleider im selben Raum vor "La Danse" aus dem Jahr 1930

Auch von den farbenflirrenden Bildern des Postimpressionisten Pierre Bonnard und von den dunkel-geheimnisvollen Visionen des Meisters der "pittura metafisica", Giorgio de Chirico, ließ sich YSL inspirieren.

"Ensemble inspiré de Pierre Bonnard" (2001)
Kleid YSLs vor Bildern von Giorgio de Chirico

YSL im Musée d'Orsay

Nach dem Farbenrausch im Musée d'Art Modern wird es im Musée d'Orsay feierlich klassisch und erlesen elegant. Das hier gezeigte Ensemble, vor der Silhouette der berühmten Bahnhofsuhr im 5. Stock des Museums und direkt vor dem Eingang zur weltberühmten Impressionisten-Sammlung, fällt aus dem Rahmen. Wo ist hier das dazu passende Kunstwerk?

Es ist eines, das sich nicht zeigen lässt, denn es ist kein Werk der Bildenden Kunst. Yves Saint Laurent war auch ein Verehrer der Literatur von Marcel Proust. So nahm er im Jahr 1971 gerne den Auftrag an, für einen exklusiven Ball, den Marie-Hélène de Rothschild anlässlich des 100. Geburtstags des großen Romanciers ausrichten wollte, die Kostüme zu entwerfen.

Kostüme für den legendären Proust-Ball im Hause Rothschild (1971)
Félix Nadar "Sarah Bernardt" (1859)

 

 

In einem kleinen Kabinett des Museums (zwischen den herrlichen Gauguin- und Van-Gogh-Sälen) findet man noch einige Serien von Entwurfszeichnungen des Meisters.

Viel schöner aber: die Serie von Fotos des Fotografen Félix Nadar, die weibliche Schönheiten in eleganten YSL-Kostümen zeigen.


YSL im Picasso-Museum

Zum Abschluss also noch einmal Picasso. Keinen zweiten Künstler hat YSL mehr verehrt und öfter geehrt, von niemandem hat er sich häufiger inspirieren lassen, als von dem großen kleinen Spanier, der das Paris des 20. Jahrhundert so sehr geprägt hat, wie niemand sonst.
1937 hat Picasso das Porträt von Nusch Éluard gemalt, das an der Stirnwand des Treppenhauses ausgestellt ist. Ähnlich wie im Fall von Matisse "Rumänischer Bluse" hat sich Saint Laurent hier wieder zu einer freien Nachschöpfung jener Kostümjacke anregen lassen, die die Schauspielerin, Varieté-Künstlerin und Surrealisten-Muse damals getragen hatte.
Einige kühne "neo-kubistisierende" und Picassos eigenen Kostümentwürfen aus dem berühmten "Parade-Ballett" von 1917 nachempfundene Jäckchen gibt es als hübsche Zugabe...


Ich bin selbst überrascht. Ich hätte nicht gedacht, dass mich eine Mode-Ausstellung einmal derart begeistern kann. Das Schöne ist: Ich werde große Teile noch einmal sehen können, wenn ich im April nach Paris fahre – noch bis zum 15. Mai ist all das im Centre Pompidou, im Musée d'Art Moderne, im Louvre, im Picasso-Museum, im Musée d'Orsay und im Musée Yves Saint Laurent de Paris zu sehen.

Einige Plätze für diese Fahrt sind übrigens noch verfügbar!


Abschließend setze ich noch zwei Links zur Seite des Yves-Saint-Laurent-Museums (das ich selbst leider nicht besucht habe).
Da findet man schöne Fotos und weitere Entwurfszeichnungen und kann einige der oben gezeigten Kreationen während ihrer Präsentationen auf den Modeschauen getragen sehen:


https://museeyslparis.com/en/biography/lhommage-a-piet-mondrian

https://museeyslparis.com/en/biography/hommage-a-matisse-et-leger