Elisabetta Sirani
geschrieben am 05.12.2021 von Dr. Lena Selgegemeinfrei
Elisabetta Sirani war eine bedeutende Malerin des Bologneser Barocks. Sie genoss überregionalen Ruhm und ihre Auftraggeber gehörten zum europäischen Hochadel. So bestellten beispielsweise die Großherzöge der Toskana aus dem Hause Medici, der Kurfürst von Bayern, Mitglieder der Familie Gonzaga in Mantua und der Familie Farnese in Parma bei ihr Gemälde. Ebenso führte Sirani für die Kirche Altarbilder in Bologna und ganz Oberitalien aus. Sie spezialisierte sich auf Historienmalerei. Dies war eine besonders noble Aufgabe, die normalerweise nur von männlichen Kunstschaffenden übernommen werden durfte.
Sirani sorgte außerdem dafür, dass weibliche Künstlerinnen ausgebildet werden konnten. Sie gründete die erste Kunstakademie für Frauen außerhalb eines Konvents. Sie unterrichtete mehr als ein Dutzend Frauen und eröffnete ihnen so die Möglichkeit auch außerhalb von familiären Kontexten als Künstlerinnen erfolgreich zu werden.
Elisabetta Sirani wurde 1638 in Bologna geboren und wurde nur 27 Jahre alt. Trotz ihres kurzen Lebens schuf sie über 200 Gemälde, die Guido Reni, aber auch Caravaggio und Carracci als Vorbilder erkennen lassen.
Noch nie von ihr gehört?
Wisst ihr was – ich offen gestanden bis vor einiger Zeit auch nicht. Das ist schlimm. Nicht, weil bei mir eine Lücke klafft, die nach meinem Kunstgeschichtsstudium mit Schwerpunkt auf italienischer Renaissance und Barock nicht da sein sollte – weil ich nicht umfassend gut genug gelernt hätte (was absurderweise mein erster Gedanke war).
Nein, es ist schlimm, weil mir mein Studium nicht die Gelegenheit gegeben hat, etwas über sie zu lernen. Trotz ihres außerordentlichen Erfolgs und obwohl der Biograf Carlo Cesare Malvasia (er war sozusagen der Bologneser Vasari) Elisabetta Sirani zu den besten Kunstschaffenden in Bologna zählte, wird sie beispielsweise von Rudolf Wittkower in seiner die Fachwelt dominierenden Publikation History of Art and Architecture in Italy 1600–1750 noch nicht einmal erwähnt.
Und es ist schlimm, weil ihr Werk beeindruckend ist und ich mich gerne schon früher mit ihrer Kunst auseinander gesetzt hätte.
Warum es nun so ist, dass eine zu ihrer Zeit offensichtlich sehr erfolgreiche und bedeutsame sowie talentierte Künstlerin so weit von der Kunstgeschichtsschreibung verdrängt wurde, dass sie, wenn überhaupt in Publikationen zu bedeutenden Künstlerinnen oder anderer »Spezialliteratur« auftaucht, aber in Überblickswerken zur Barockkunst einfach nicht vorkommt, könnte hier an dieser Stelle zu einer hitzigen Stellungnahme meinerseits führen. Ich habe mir besonders im letzten Jahr viele Gedanken zur Geschichte meines Fachs gemacht, angestoßen von längst überfälligen Debatten in der Wissenschaft über eine einseitige Kunstgeschichte, die den Blick eines weißen Mannes repräsentiert. Ich bin keine Freundin von Wut und Anschuldigungen. Ich möchte etwas verändern. Deshalb achte ich in meinen Workshops an einer Grundschule zu berühmter Kunst auf ein ausgewogenes Verhältnis von weiblichen und männlichen Positionen. Deshalb vergebe ich in meinen Lehrveranstaltungen an der Uni so oft wie möglich Referate zu weiblichen Künstlerinnen. Und deshalb schreibe ich über Frauen in der Kunst.
Elisabetta Sirani, Allegorie der Malerei (Selbstporträt), 1658, Puschkin-Museum, Moskau
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Mit noch nicht einmal Zwanzig schuf Elisabetta Sirani das monumentale Gemälde Die Taufe Christi für die Certosa in Bologna, mit dessen Ausstattung sieben Kunstschaffende beauftragt worden waren. Sirani war die jüngste und einzige weibliche Künstlerin unter ihnen. Wir können nur ahnen, was das bedeutete. Doch sie positionierte sich selbstbewusst: Die Komposition des vielfigurigen Bildes ist erstaunlich geschickt und routiniert. Scheinbar mühelos verbindet sie das Bildpersonal in mehreren Kleingruppen und verwebt diese miteinander zu einem großen Ganzen.
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Dieser die Bildfläche überspannende Kompositionswille erinnert an niemand anderen als den Hochrenaissancekünstler Raffael. Und tatsächlich scheint die Rückenfigur des orientalischen Mannes mit Turban ein direktes Zitat aus Raffaels Transfiguration. Das leuchtende Rot und Blau hingegen erinnern an Tizian, ebenso wie Gottvater von der Lichtglorie umfangen und die kleinen, die Wolken stützenden Putti.
Aber hat Elisabetta Sirani diese großen Vorbilder gesehen?
Für weibliche Künstlerinnen war es – besonders am Beginn ihrer Karrieren, wenn sie unverheiratet und unbekannt waren – sehr schwierig Werke anderer Künstler*innen kennenzulernen.
Sie waren nicht berechtigt durch die Gegend zu reisen und sich die Kunst in Kirchen oder Privatsammlungen eigenständig anzuschauen. Sie waren darauf angewiesen, dass die Männer in ihrem Leben sie unterstützten.
Gemessen an ihrer Zeit hatte Elisabetta Sirani Glück.
Ihr Vater, selbst Maler und Assistent im Atelier von Guido Reni, förderte ihr Talent, vielleicht nicht zuletzt durch das Engagement von Malvasia, der beide immer wieder drängte, dass Elisabetta Sirani eine künstlerische Karriere beginnen solle.
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Dennoch gibt es keinen Hinweis darauf, dass sie Bologna jemals in ihrem Leben verlassen hat. Stattdessen ist überliefert, dass es ihr sehnlichster Wunsch wäre zu reisen und andere Orte zu entdecken. Inwiefern ihr Vater ihr diesen Wunsch erfüllen konnte, ist fraglich, denn bereits mit 24 musste Elisabetta das Atelier übernehmen, da er aufgrund einer Krankheit nicht mehr in der Lage war zu arbeiten.
Wir wissen allerdings auch, aus einem Inventar von 1666, dass Giovanni Andrea Sirani eine Sammlung von zwanzig Büchern besaß, die unter anderen auch Plinius, Ovid und Cesare Ripa umfasste, und seine Tochter so Zugang zu ikonographischen Schlüsselwerken hatte, die, wie wir noch sehen werden, für ihre Historienmalerei einige Bedeutung besaßen.
Zudem war Giovanni Andrea Sirani in Guido Renis Atelier für die Ausbildung der Maler zuständig, so dass es nahe liegend ist, dass Elisabetta besonders berühmte Kunstwerke, wie solche von Raffael oder Tizian, in Drucken oder Kopien zugänglich waren.
Dass Elisabetta Sirani eine solche Förderung zukam, verdankte sie im Besonderen dem kulturellen Klima, das zu ihrer Lebzeit in Bologna vorherrschte.
Die Stadt wurde zum Zentrum für weibliche Kunstschaffende – insbesondere im 17. Jahrhundert, als dort 22 Künstlerinnen tätig waren.
Als zweitgrößte Stadt des Papststaates und Sitz der ältesten Universität in Europa bot Bologna für den Erfolg von Frauen ganz besondere Möglichkeiten, die durch verschiedene Faktoren begünstigt wurden.
So hatten die Frauen beispielsweise einen einfacheren Zugang zu Bildung als anderorts. Dies hatte unter anderem die Folge, dass die Anzahl von weiblichen Schriftgelehrten hier besonders hoch war.
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Eine von ihnen – Caterina de’Vigri (1413–63), Ordensgründerin und erste bekannte Malerin der Stadt – wurde 1592 seliggesprochen und zur Schutzpatronin der Bologneser Künste erklärt. Bologna war damit die einzige Stadt in Italien mit einer weiblichen Schutzheiligen, die mit Malerei verbunden war.
Es mag also diese günstige Konstellation gewesen sein, die es Elisabetta Sirani ermöglichte zu malen. Zudem trug sie selbstbewusst zu ihrer Bekanntheit bei. Nicht nur, dass sie ihre Bilder häufig auffällig signierte und datierte – wie es auch bei der Taufe Christi der Fall ist – sie legte auch selbst ein Werksverzeichnis an, in dem sie ihre Gemälde auflistete und Verkäufe dokumentierte. Offensichtlich wollte sie, dass ihre Bilder als ihre Werke wiedererkannt wurden. Für uns Historiker*innen ist das ein Glücksfall, denn so ist es möglich viele ihrer Bilder wiederzufinden, Zuschreibungen sind einfacher und ihre Provenienz in verschiedenen Sammlungen kann anhand von Inventaren nachvollzogen werden.
Elisabetta Siranis Oeuvre ist enorm vielfältig. Neben einigen großformatigen Altarbildern schuf sie zahlreiche Andachtsbilder, deren Nachfrage im nachtridentinischen Klima besonders hoch war.
Sie lassen ihre Kenntnis der Gemälde Guido Renis erkennen, doch dessen süßlichen – für mich nicht immer leicht zu ertragenden Stil – wandelt sie in eine verbundene Präsenz der Figuren, die idealisiert und lebensnah zugleich erscheint.
Ihre Madonnendarstellung von 1663 etwa zeigt uns Maria als junge italienische Frau. Auf dem Kopf trägt sie einen Turban, so wie die Bologneser Bäuerinnen es taten. Liebevoll neigt sie ihren Kopf zur ihrem Baby. Der wohlgenährte Christusknabe blickt sie an, während er spielerisch versucht ihr einen Kranz aus Rosen aufzusetzen. Die innige Beziehung der Beiden kauft man ihnen direkt ab. Sie erscheint durch und durch ehrlich, keine Spur von süßlicher Scheinheiligkeit.
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Auch wenn Siranis Schaffen einige solcher privaten Andachtsbilder und auch Porträts umfasst, war ihr Hauptmetier die Historienmalerei. Dies ist durchaus hervorzuheben, denn das war für eine Frau in ihrer Zeit alles andere als selbstverständlich. Tatsächlich war Elisabetta Sirani die erste Malerin in Bologna, die sich auf Historienbilder spezialisierte.
Besonders interessant sind dabei die Unterschiede der Themen und Bildlösungen, die sie im Vergleich zu ihren Zeitgenossen wählte. Elisabetta Sirani erfand nämlich ganz eigene Darstellungsformen, die mit bestehenden Traditionen kontrastierten und antike Heldinnen neu interpretierten.
Möglicherweise sorgte der Umstand, dass sie weniger originale Kunst sehen konnte, als so mancher männlicher Kollege von ihr, aber sie Zugang zu wichtigen Schriften als ikonographische Quellen hatte, dafür, dass sie nicht auf bekannte Bildmuster zurückgriff, sondern eigene erschuf. Besonders eindrücklich zeigt sich das meiner Meinung nach (neben anderen Beispielen) in zwei von ihren Bildern, die ich euch genauer vorstellen möchte: Ihrer Judithdarstellung von 1658 und ihrer Kleopatra aus den Jahren 1662/63.
Anstatt, dass Sirani Judith zeigt, wie sie Holofernes köpft oder neben seinem nackten Körper sein Haupt an eine Dienerin übergibt, porträtiert sie Judith in dem Moment ihres größten Triumphes: Als sie dem Volk der Israeliten das Haupt des Holofernes präsentiert.
Sie zeigt Judith als große, starke Frau, die über der Menge auf einer Bühne steht und alle anderen Figuren überragt. Der sichelförmige Halbmond in der linken Bildecke erinnert an Bilder der Immaculata Conceptio, also Mariendarstellungen der unbefleckten Empfängnis. Sirani betont damit – übrigens ebenso wie der biblische Text – die Keuschheit der antiken Heldin. Sie tilgt jegliche Erotik, sowohl in der Szene, als auch durch das Erscheinungsbild ihrer Figur.
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Diese heroische Darstellung ist ungewöhnlich, insbesondere wenn man an die dramatischen Szenen Caravaggios und Artemisia Gentileschis denkt, die nur einige Jahrzehnte früher entstanden sind.
Elisabetta Siranis Judith strahlt leidenschaftslose Schönheit, Mut, Stärke und Standhaftigkeit aus, während Gentileschis und Caravaggios Protagonistinnen – wenn auch auf ganz unterschiedliche Weise – Erotik, Emotion und Sexualität verkörpern. Es ist die Frage, ob Sirani die Bilder von Artemisia und Caravaggio kannte. Einiges spricht dagegen: Und so ist es, wie ich finde, besonders interessant, wie anders sie sich dem Thema nähert.
Ein Blick auf die übrigen Bilder Siranis lässt den Schluss zu, dass sie ihre weiblichen Protagonisten, mit einer bewussten Nüchternheit, mächtigen Körpern und standhaften Präsenz darstellte und dass dies Teil einer bewussten Strategie der Künstlerin ist, die Sexualität zu beseitigen, die für solche Heldinnen in der italienischen Kunst typisch war, wie die Kunsthistorikerin Babette Bohn herausstellen konnte.
So kommt Elisabetta Sirani beispielsweise auch bei einer Darstellung der ägyptischen Königin Kleopatra zu einer ganz anderen Bildlösung, als ihre Zeitgenossen.
Während diese nämlich Kleopatras Selbstmord zu einem äußerst populären Motiv machten, griff die Künstlerin einen Moment aus dem Leben der Herrscherin auf, der erst im 18. Jahrhundert vermehrt in den Fokus rücken sollte.
Von Plinius und Boccaccio erfahren wir von einer Wette, die Kleopatra nach einem von Antonius üppig ausgerichteten Bankett einging. Sie wettete, dass es ihr gelingen werde, Antonius Festmahl in seinem Luxus zu übertreffen, und ließ am nächsten Tag ein reiches, aber nicht sonderlich aus dem Rahmen fallendes Essen servieren. Antonius fühlte sich in Sicherheit und spottete, dass sie die Wette verlieren werde.
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Nach dem ersten Gang entnahm Kleopatra jedoch ihrem Ohrring eine Perle, löste sie in Essig auf, und trank diesen anschließend. Wahrscheinlich handelte es sich bei dieser Perle, die von Plinius als die kostbarste der Welt beschrieben wurde, um ein Geschenk, mit dem Antonius Kleopatras Gunst erobern konnte. Bevor Kleopatra eine zweite Perle auf dieselbe Weise versenken konnte, erklärte der Schiedsrichter sie zur Siegerin der Wette.
Elisabetta Siranis Kleopatra hält nun eine sanft reflektierende Perle über eine reich verzierte Schale. Gezeigt ist also der Moment des Festmahls, kurz bevor Kleopatra die Perle in den Essig fallen lässt. Doch ihre Darstellung ist isoliert. Sirani verzichtet auf jegliche Interaktion mit ihrem männlichen Gegenspieler und konzentriert sich stattdessen auf Kleopatras schlauen Schachzug. Das, was sie uns hier zeigt ist Kleopatras geniale Kaltschnäuzigkeit. Die ägyptische Königin erscheint dabei sanft und lieblich. Ihr ebenes Gesicht und ihre schlichte Kleidung lässt uns eher an Marienbildnisse denken. Ihr äußeres Erscheinungsbild steht also in deutlichem Kontrast zu ihrem Handeln.
Kleopatra-Darstellungen wurden in Bologna besonders ab den 1620er Jahren populär, als Guido Reni das Thema von Kleopatras Selbstmord in mindestens sechs Bildern interpretierte. Ihre Beliebtheit schlägt sich in zahlreichen Kopien nach seinen Bildern und einer reichen Nachfolge nieder. Die meisten Kleopatras von Reni sind halbfigurige Frauen, die sich halbnackt mit einer Schlange räkeln.
Interessanterweise zeigen die Bilder nicht, wie Kleopatra von der Schlange in den Arm gebissen wurde, wie es in einigen Textvorlagen heißt, sondern sie erotisieren den weiblichen Selbstmord, indem die Schlangen – nicht selten in eindeutig phallischer Form – ihre entblößten Brüste anvisieren. Den Blick nach oben gewendet und den Mund halb geöffnet, stehen Renis Kleopatras zwischen sexueller Ekstase und tödlichem Dahinscheiden. So richtig lässt es sich nicht entscheiden – beides wäre möglich.
Ganz offensichtlich geht der Reiz bei Guido Renis Darstellung von der Erotik des Bildes aus, die auf einen männlichen Betrachter zugeschnitten wurde. Es ist spannend zu sehen, dass Elisabetta Sirani ihren Fokus ganz anders setzt. Lag es an ihrem »weiblichen« Blick? Oder ist es das Resultat von anderen künstlerischen Voraussetzungen, die sie als Künstlerin erlebte?
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